Die grüne Welle

Durch unsere Gesellschaft geht ein Ruck. Es scheint, als gäbe es ein kollektives Bedürfnis, in vielen Teilbereichen des privaten Lebens, aber auch im beruflichen Umfeld, den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, den jeder im Laufe seines Lebens auf dieser Welt hinterlässt. Da spricht nichts gegen, finde ich. Jeder kann und sollte sich selbst, seine eigene Handlungsweise und seine Gewohnheiten kritisch hinterfragen. Brauche ich wirklich das große Auto oder reicht ein kleines, muss ich zwei Mal im Jahr um den Globus fliegen oder reicht auch ein Urlaub an der Ostsee? Muss ich zum Meeting wirklich quer durch Europa jetten und am Abend wieder zurück? Ich habe das selbst erlebt, es ist kein Spaß.
Man kann seine Handlungsweise anpassen, und in manchen Fällen hat man dadurch neben einem guten Gefühl, etwas für den Planeten getan zu haben, auch noch einen Gewinn an Freizeit, unerwartet positive Erlebnisse und zwischendurch mal Muskelkater. Gute Sache.

Es ist aber wie so oft im Leben. Ohne Sinn und Verstand einer Ideologie zu verfallen, führt zum genauen Gegenteil dessen, was man bezwecken möchte. Ich weiß, dieser Satz muss sacken und braucht ein bisschen Erklärung.

Aufmerksame Leser meines Blogs wissen, dass ich beruflich im Bereich der Medien angesiedelt bin, Fachbereich Fernsehen. Kein einfaches Umfeld, kein Bereich in dem man sich eine goldene Nase verdienen kann. Und auch Unternehmen haben es nicht mehr leicht, sich daran gesundzustoßen. Produzenten und Fernsehsender schreiben sich nun auf die Fahnen, ‚grüner‘ zu werden. Es werden Expertenkommissionen gegründet, die sich tiefgreifend und ausgiebig mit dem Thema auseinandersetzen. Bestehend aus Experten, die sich dadurch hervortun, dass sie ganz offensichtlich keine Ahnung von der Materie haben. In Teilen zumindest. Bitte nicht falsch verstehen: ich habe auch von vielem keine Ahnung, im Gegensatz zu den selbst ernannten Experten maße ich mich aber auch nicht an, über fundierte Sachkenntnis zu verfügen sondern räume offen und ehrlich ein, mich mit vielem einfach nicht auszukennen. Ich überlasse denen das Feld, die Ahnung haben.
Wenn sich herausstellt, dass die, die vorgeben, Ahnung zu haben, sie im Grunde genommen aber nicht haben und sich statt dessen in einem Licht sonnen, dass ihnen nicht gebührt, dann werde ich ungemütlich.

Zeit für praktische Beispiele.

Fernsehstudios sind bekannt für viele helle, große Scheinwerfer. Fernsehkameras brauchen Licht. Früher mehr als heute, aber heute immer noch immens viel. Unmengen von Scheinwerfern hängen in Studios. Davon haben die meisten, die für das so genannte Grundlicht sorgen, eine klassische Glühbirne verbaut. Das Licht flackert nicht und kommt sich nicht mit der Frequenz der Fernsehkameras in die Quere. Hat aber den Nachteil, dass der überwiegende Anteil der benötigten Energie in diesen Scheinwerfern in Form von Wärme verloren geht. Der kleinste Anteil der Energie steckt in der Lichtleistung, umgangssprachlich formuliert.
Nun kommt die Expertenkommission und sagt: Mensch Kinder, lasst uns doch LED-Lampen nehmen. Die brauchen weniger Strom und sind effizienter. Effizienter in dem Sinne dass (nahezu) keine Energie mehr in Form von Wärme verloren geht, sondern alles in der Lichtleistung steckt. Eine schöne Idee. LED der neuesten Generation schaffen es auch in Studioscheinwerfer und funktionieren durch aufwändige Technik ohne zu flackern. Bis hier hin ist die Idee top. Wir reduzieren den Stromverbrauch enorm, erst Recht auf die Laufleistung des ganzen Studios berechnet.

Also analysieren wir mal, wie grün wir wirklich dadurch werden.

Ja, wir reduzieren die benötigte Energie enorm, haben aber auch Nachteile. Erstens: in einem einzelnen LED-Scheinwerfer stecken unzählig viele einzelne Hochleistungs-Leuchtdioden und die dazu gehörige Steuertechnik. Anders als beim klassischen Scheinwerfer, der in seinem Aufbau sehr dem heimischen Deckenfluter ähnelt, nur größer und heller. Die Hersteller sind nicht blöd. LED-Lampen kann man nicht reparieren, und sie gehen naturgemäß auch im Laufe der Zeit kaputt. Das heißt: wo man früher einen Scheinwerfer über Jahrzehnte eingesetzt hat und ab und zu das Leuchtmittel tauschen musste wie zuhause im Kühlschrank, wirft man nun beim Defekt den ganzen LED-Scheinwerfer weg und muss einen neuen kaufen. Bäm. Leuchtmitteltausch ausgeschlossen, bedingt durch die Bauart und den Ideenreichtum des Herstellers. Drei Mal dürfen Sie raten: LED-Scheinwerfer sind deutlich teurer als vergleichbare klassische Lampen. Außerdem in der Herstellung wesentlich umweltschädlicher, und in der Entsorgung ebenso. Früher hatte man im Jahr eine kleine Kiste mit kaputten Glühbirnen, während die Lampen als solche über Jahrzehnte funktionierten. In Zukunft produziert man palettenweise Elektroschrott mit defekten LED-Scheinwerfern, die natürlich nachgekauft werden müssen.

Hauptsache wir sind grün und brauchen weniger Strom.

Zweites Beispiel, bleiben wir bei den Scheinwerfern. Fernsehstudios haben eine Eigenschaft, die sie ziemlich einmalig macht in der Welt der „Produktionshallen“. Sie sind groß, sehr hoch, aber haben keine Heizung. Die Abwärme der Scheinwerfer heizt die Studios so enorm auf, dass man auch im Winter Klimaanlagen braucht, um sie abzukühlen. Wenn nun die glühenden Leuchtmittel wegfallen, und mit ihr das Nebenprodukt Abwärme, dann wird es kalt im Studio. Möchte jemand im Winter eine Fernsehsendung machen, wenn es im Studio so kalt ist wie draußen im Schnee? Ganz gewiss nicht. Also, sie werden es erraten: es muss ein Heizung her, und mit ihr die Energie die man braucht, um eine riesengroße Halle auf angenehme Arbeitstemperatur zu bringen. Auch bodennah, da wo die Menschen stehen, und nicht nur in Deckennähe, da wo die ökologisch fragwürdigen LED-Scheinwerfer vor sich hin leuchten. Hat mal jemand ausgerechnet, wie viel Kosten es aufwirft, eine Heizung in eine Bahnhofshalle zu bauen? Und wie viel Energie für die Wärmeleistung aufgewendet werden muss? Ich kann ihnen versichern: bei den Zahlen wird ihnen schwindelig. Und grün ist dass dann aus energetischer Sicht auch nicht mehr.

Sind wir in ihren Augen jetzt immer noch grün?

Beispiele wie diese könnte ich zuhauf aus der Expertenkommission zitieren. Papierlose Arbeitsabläufe, statt dessen statten wir jeden Mitarbeiter mit iPads und Tablet-Computern aus, die man gut in den Hosenbund stecken kann, während man Teile der Studiodekoration durch die Gegend schiebt. Elektroautos für die Crew vor Ort, die aber vorher aus ganz Deutschland mit dem Flieger zusammengesammelt wird, weil es die zeitlichen Abläufe nicht anders zulassen und sie am Folgetag schon wieder den nächsten Einsatz am anderen Ende von Deutschland haben, und dafür wieder mit dem Flugzeug unterwegs sind.

Ich gebe ihnen Recht: vieles könnte man ändern. Eisenbahn statt Flugzeug, wiederverwendbare Getränkebecher anstelle von Plastik. Sicher auch noch anderes. Aber bei den großen Änderungen muss man genau hinschauen und über den Tellerrand hinaus blicken. Macht aber keiner.

Wenn wir uns am Ende also auf ein paar schöne Dinge geeinigt, und die sinnlosen über Bord gekippt haben, kommen wir zu Kapitel 2: den Kosten. Die will nämlich keiner tragen. Es soll grün werden, es soll ökologisch sinnvoll sein. Das kostet im ersten, zweiten und dritten Moment einen riesigen Haufen Geld. Den will aber keiner bezahlen, denn alle sind nur auf Gewinnmaximierung getrimmt. Wenn man dem Fernsehsender sagt: die Herstellung Deiner Fernsehshow wird teurer wenn Du sie grün machst, dann sagt der Sender: egal, die Kosten trägst Du als Produzent, wir beteiligen uns nicht. Dann sagt der Produzent zum Studio: die Voraussetzung dafür, dass wir Dir Arbeit geben, ist, dass Du sie grün machst. Die Mehrkosten, die Dir entstehen, gehen uns aber nichts an, vielmehr zahlen wir Dir zehn Prozent weniger als vorher. Die – Pardon! – horrenden Kosten für die Anschaffung der LED-Lampen, den Einbau und Betrieb einer Heizung für die Bahnhofshalle, all das ist uns total egal.
Dann sagt das Studio: schöne Idee, lieber Produzent, aber dann können wir auch gleich Konkurs anmelden. So geht’s nicht.

Jetzt sind wir zwar grün, aber pleite.

Es funktioniert nur, wenn wir alle am gleichen Strang ziehen. Durchdachte Lösungen, und zwar von vorne bis hinten. Keine Schnellschüsse. Kein blinder Aktionismus. Kein Egoismus.
Wenn der Fernsehsender all seinen tausenden Mitarbeitern zu Weihnachten als Bonus ein iPad schenkt, weil das Jahr so gewinnbringend verlief und massig Geld übrig geblieben ist, aber der Studiobetrieb bankrott geht weil er im Preis gedrückt wird und gleichzeitig mehr leisten muss, dann funktioniert es nicht. Für niemanden. Selbst dann nicht, wenn alle Beteiligten schön grün lächeln, während das löchrige Schiff im Meer versinkt.