Bahngeschichten II

Die Sache mit der Fernbeziehung bringt ein paar Hürden mit sich. Man ist viel unterwegs, überwiegend freitagabends und sonntagabends. In Ermangelung eines Autos, lange Geschichte, fahre ich mit der Bahn. Das ist umweltschonend und entspannt. Folgt man dem Werbeslogan des Unternehmens, geht es auch schnell und einfach. Dem kann ich nur teilweise zustimmen.

Einfach ist es. Das Ticket ist leicht gekauft, das Geld schnell abgebucht. Einsteigen, hinsetzen, einschlafen, aufwachen und aussteigen, alles einfach.

Schnell hingegen, nun ja. Da kann man verschiedener Meinung sein. Zwischen Köln und Berlin verkehrt seit geraumer Zeit ein ICE Sprinter. Das ist ein normaler ICE, nur ohne Zwischenhalt. Klingt eigentlich sehr gut, weil passend zum Werbeslogan einfach und schnell. Eigentlich ist aber ein gemeines Wort. Denn einerseits fuhr der Sprinter lange, dann jedoch viel länger nicht. Wegen schier unendlicher Bauarbeiten in und um Köln, wegen Umleitungen, wegen diverser nicht näher benannter Gründe. Darin ist die Bahn gut: es gibt zahlreiche Gründe, die alle kaum aussagekräftig sind, aber am Ende immer das gleiche für den Kunden bedeuten. Entweder kommt der Zug nicht, oder er kommt viel später als geplant.
Sie kennen die kleinen sechsseitigen Holzwürfel, die man auf Weihnachtsmärkten kaufen kann? Auf jeder Seite steht eine andere Aktion für langweilige Tage. Putzen, Aufräumen, Lesen und so weiter. Mir scheint, als hätten die Mitarbeiter der Bahn solche Würfel bei sich rumliegen. Zugausfall wegen Defekt am Fahrzeug, wegen großer Verspätung aus vorausgegangener Fahrt, wegen eines Polizeieinsatzes, oder wegen kurzfristiger Erkrankung des Personals. Was nehmen wir denn heute? Ach, egal, lass den Würfel entscheiden. Für den Fahrgast am Bahnsteig bedeutet eh alles das gleiche, aber es kommt gefühlt ein bisschen Abwechslung rein.
Zurück zu unserem Sprinter. Was neulich am Wochenende geschah, war kaum zu übertreffen.

Der Zug von Köln nach Berlin entfiel wegen eines Defekts am Fahrzeug. Das wurde glücklicherweise rechtzeitig bekannt gegeben, und gleichzeitig hieß es, es gäbe einen Ersatzzug. Da denkt sich der Fahrgast: super! Also alles läuft nach Plan. Ein Zug ist kaputt, dafür steht ein anderer da. Erstmal kein Grund zur Sorge.
Am Bahnsteig in Köln verzögerte sich dann die Bereitstellung des Zuges, der seinen Startbahnhof in Köln hat, um etwa zwanzig Minuten. So weit, so normal. Verzögerung in der Bereitstellung? Das ist auf dem Würfel direkt neben der neuesten Lieblings-Entschuldigung: die Weiterfahrt verzögert sich wegen geringer Verfügbarkeit der Gleise. Kein Witz, so sagen sie das.
Diesmal aber die verspätete Bereitstellung des Ersatzzuges um zwanzig Minuten. Ein Zug mit weniger als 60 Minuten Verspätung wird in Köln gemeinhin von den gebeutelten Fahrgästen noch als pünktlich bezeichnet. Ein pünktlicher Zug würde den Fahrgast in Köln mehr irritieren als einer mit Verspätung. Haben Sie schonmal auf die Anzeigetafel geschaut? Da sind 60 bis 90 Minuten Verspätung normal, bei egal welcher Zuggattung. Käme der Zug mal pünktlich, wären garantiert etwa 50% der Kunden zu spät.

Nun stand der verspätet bereitgestellte ICE in Köln, alle stiegen ein, alle freuen sich auf die Fahrt nach Berlin. Was dann? Der Zug fährt nicht ab. Nach einer weiteren Viertelstunde quäkt es aus dem Lautsprecher: „Unsere Abfahrt verzögert sich leider wegen eines Defekts am Zug“.
Okay. Ein schon nachmittags als defekt ausgemusterter ICE wird ersetzt durch einen anderen, und wenn dieser abends im Bahnhof steht, fällt auf, dass er nicht losfahren kann weil er auch kaputt ist? Respekt. Das muss man erstmal schaffen.
Irgendwie konnten die Mitarbeiter den Zug aber noch reparieren, so dass wir dann mit 40 Minuten Verspätung losgefahren sind. Immerhin. Noch unter 60 Minuten. Also in Köln nicht der Rede wert.

Aufgrund der großen Verspätung passte die Fahrt des ICE Sprinter scheinbar nicht mehr so ganz ins Konzept, sodass plötzlich zahlreiche Regionalbahnen, andere ICEs und Güterzüge die Gleise zugestellt hatten. Die Geschwindigkeit des ICE lud eher zum Blumenpflücken während der Fahrt ein. Ernsthaft: In Köln fuhr ein Regionalexpress nach Hamm zeitgleich mit uns los, in Hamm haben wir ihn eingeholt. Der Regionalexpress war trotz all seiner Zwischenhalte und des längeren Zugwegs von Köln nach Hamm immer noch schneller als der ICE ohne Zwischenhalt. Das schafft nur die Bahn.
Durch die ganze Trödelei kam ich am Ende in Berlin mit einer Verspätung von 100 Minuten an.

Die Rückfahrt war noch absurder.

Der Sprinter von Berlin nach Köln fuhr zwar in Berlin Spandau mit nur zehn Minuten Verspätung los, wurde dann aber im Verlauf der Fahrt immer langsamer. Kurz hinter Hannover blieb er in einem kleinen Provinzbahnhof stehen. Nichts gegen Haste, ist bestimmt ein schönes Städtchen, aber nichts für die Zwischenpause eines ICE. Wieder quäkte der Lautsprecher. Wegen eines Defekts am Zug stünden wir nun in Haste, auf unbestimmte Zeit.
S-Bahnen, Güterzüge, ICEs, InterCitys, alle rauschten an einem vorbei. 40 Minuten lang passiert das, was die Bahn am besten kann: nichts. Auch keine Information über das weitere Vorgehen. Warum man nicht kurz vorher in Hannover schon gehalten hat, erschließt sich keinem der Anwesenden. Denn dort hätte man noch vernünftige Anschlussverbindungen bekommen können, um die Reise irgendwie fortzusetzen. Aber in Haste? Um die Uhrzeit hielten da nicht einmal mehr S-Bahnen. Man wäre also schlicht von dort nicht mehr weg gekommen.
Nach 45 Minuten hielt ein ICE neben uns. Ein langer ICE. So lang, dass er nicht in den Bahnhof passte. Uns überkam ein ungutes Gefühl. Vermutungen und Gefühle waren das einzige, was wir hatten. Informationen: Fehlanzeige. Der ICE nebenan war jetzt bestimmt für uns da, schätzten wir. Warum sollte er sonst im schönen Haste anhalten. So war’s. Wir durften, mussten aber nicht umsteigen. Man war sich nicht sicher, ob die Fahrt mit unserem defekten ICE nicht vielleicht doch fortgesetzt werden könnte, zu unbekanntem Zeitpunkt, versteht sich. Da das keiner riskieren wollte, stiegen so gut wie alle Fahrgäste übellaunig um. Natürlich nur durch die zwei Türen, die aus Sicherheitsgründen geöffnet werden konnten, weil der rettende ICE im Nebengleis viel zu lang für den Bahnsteig war.
Apropos: er war nicht nur viel zu lang, er war auch schon viel zu lange unterwegs. Unser neuer ICE – Trommelwirbel – kam auch aus Berlin, war überfüllt und hatte schon 90 Minuten Verspätung intus. Dementsprechend super war die Stimmung in der Kiste. Und, doppelter Trommelwirbel: er konnte aufgrund eines Defekts nicht mit Höchstgeschwindigkeit fahren.
Am Ende kam ich mit 150 Minuten Verspätung in Köln an.

Und die Kirsche auf dem Sahnehäubchen: mein in Haste liegengebliebener ICE konnte wohl noch repariert werden und setzte seine Fahrt mit ein paar einsamen Fahrgästen fort, überholte uns irgendwo auf der Strecke und kam 30 Minuten vor meinem Ersatz-ICE in Köln an.

Was soll man daraus lernen? Lieber in einem kaputten ICE sitzen bleiben? Lieber fliegen? Lieber die Fernbeziehung beenden? Und was sagt das über den Bestand an fahrtüchtigen ICEs aus? An diesem Wochenende hatte die DB wohl keinen einzigen fahrtüchtigen ICE im Angebot.

In den Nachrichten hört man: die Lokführergewerkschaft droht mit Streik. Man will mehr Geld und weniger Arbeitszeit.

Darf ich meinen ernstgemeinten Vorschlag laut öffentlich machen? Ja, ist ja mein Blog. Also: meiner Meinung nach sollte sich die Gesamtheit der DB – also Lokführer, Fahrdienstleiter, Zugpersonal, Wartungspersonal, einfach alle – erstmal bemühen, einen halbwegs zuverlässigen und guten Service hinzulegen. Dann können wir gerne irgendwann auch über höhere Ticketpreise und Gehälter fürs Personal diskutieren. Solange man als Bahnkunde in Deutschland das Gefühl hat, in einem Entwicklungsland unterwegs zu sein, sollten alle Beteiligten schön die Füße still halten und sich in Zurückhaltung üben.

Zurückhaltung ist aber natürlich nichts für Herrn Weselsky. Der droht gerne mal mit Streiks in der Weihnachtszeit, bevor die Verhandlungen richtig begonnen haben. Fun Fact: die Bahn hat schon vor Verhandlungsbeginn ein Angebot vorgelegt. Und das ist nicht von schlechten Eltern, für Otto Normalverdiener. Dennoch: dem Menschenfreund Weselsky scheint es nicht zu schmecken. Der trompetet in die Welt als gäbe es kein Morgen. Dabei kann kaum noch jemand sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit ertragen. Er ist zum Sinnbild für Überheblichkeit und Stillstand geworden. Ich freu mich. Und meine Freundin in Berlin freut sich auch. Herr Weselsky, ich komm‘ zum Kaffee vorbei, wenn ich in der Stadt bin. Ich bin ernsthaft an einem sachlichen Austausch interessiert. Mich interessiert, wie Sie die Dienstleistung der DB bewerten, ohne immer die Schuld bei anderen zu suchen.