Kleine Karte, großes Glück

Wie sich bestätigt hat, komme ich mit meinem E-Bike nicht an all die Orte, zu denen ich gelegentlich oder regelmäßig fahren muss und möchte. Ohne Auto zu leben, ist schon eine sehr große Umstellung. Erst recht wenn man, wie ich, viel unterwegs war und gerne ohne große Vorplanung irgendwo hin gefahren ist. Oft haben sich auch die Ziele erst während meiner Fahrt ergeben. Diese Mobilität hat mir oft geholfen, wenn ich selbst nichts mit mir anzufangen wusste: ich habe mich dann ins Auto gesetzt, bin losgefahren, und irgendwo angekommen. Irgendwo heißt: es war alles möglich, zwischen einsamem See und Nordseeküste in Holland. Manchmal wusste ich nicht, wo ich aussteigen werde, noch während ich einstieg.

Diesen Freiheitsgedanken ohne Auto weiter leben zu können, ist unmöglich. Das hat es mir in den ersten Wochen nicht einfach gemacht, mich in meiner neuen Situation wiederzufinden. Hinzu kam, dass die ersten Suchen nach einer Ersatzmobilität im Nahverkehr nicht von Erfolg gekrönt waren, weil ich schlicht nicht bereit war, für ein Monatsticket im Verkehrsverbund das zu bezahlen, was der Verbund gerne haben möchte.

Ich habe weiter gesucht. Denn erstens brauchte ich eine Alternative zum Fahrrad, erst recht für die dunklen, nassen und kalten Monate, und zweitens wollte ich in irgendeiner Form eine Alternative dazu. Die BahnCard100 wäre optimal gewesen, und den Preis finde ich durchaus gerechtfertigt für die Freiheit, die sie einem gibt, aber leider gilt sie nicht in Bussen und Straßenbahnen, und ohne die geht hier überhaupt nichts. Der Verkehrsverbund, der mir Busse und Straßenbahnen ermöglicht, ist zu teuer und räumlich zu eingeschränkt. Irgendwas dazwischen musste her.

Siehe da, ich habe etwas gefunden. In unserem Bundesland gibt es ein Ticket, mit dem man im gesamten Bundesland in allen Verkehrsmitteln fahren kann, rund um die Uhr, beliebig oft und viel. Egal ob nur eine Station mit dem Bus oder der Straßenbahn, oder aber den Regionalzügen der DB von Gerolstein in der Eifel nach Bielefeld, Münster, Aachen, oder Minden. Überall, immer. Egal ob ein Bus in Bad Oeynhausen oder eine Straßenbahn in Kleve, alles ist drin. Sagen wir mal so: Nordrhein-Westfalen ist nicht klein. Und angrenzende Bereiche in alle anderen Bundesländer sind auch mit drin. Bis nach Osnabrück in Niedersachsen, bis Remagen in Rheinland-Pfalz, bis Venlo in den Niederlanden.

Dieses Ticket wird nicht besonders gut beworben, und mir scheint dass auch die Herausgeber nicht wirklich wissen, was sie dort verkaufen. Der Webseite nach ist es eine Kooperation aller Verkehrsverbünde, der Bahn und des Verkehrsministeriums. Wenn man es aber kauft, oder Rückfragen hat, wird man von A nach B geschickt. Die Telefonhotline übernimmt der VRS im Süden NRWs, weiß aber nichts dazu. „Da müssen Sie dort anrufen, wo sie es gekauft haben“ – „Bei Ihnen!“ – „Wie heißt das? Das sagt mir nichts. Rufen Sie mal bei der Bahn an.“
Die Bahn: „Nein, da sind wir nicht für zuständig, das ist so ein Verbundticket, da ist der Verkehrsverbund ihrer Region der Herausgeber, wir kennen das nicht. Wie heißt das?“ Von Pontius zu Pilatus eben.

Auch das Ticket selbst wird bei Kontrollen argwöhnisch beäugt. Die einzigen, die es am Aussehen erkennen, sind die Kundenbetreuer in der Bahn: wenn sie es sehen, winken sie einen durch, ohne es auszulesen. Alle anderen, ob in Bus, Straßen- oder U-Bahn, oder in den privaten Bahnen NRWs wie National-Express oder Mittelrheinbahn staunen nicht schlecht, und lesen eine Weile auf ihrem tragbaren Ticketcomputer, nachdem sie es gescannt haben. Der Kontrolleur im Bus im Rhein-Erft-Kreis sagte: „Das hab ich noch nie gesehen, da lasse ich mir lieber mal ihren Personalausweis zeigen“. Es ist ein personalisiertes Ticket und nicht übertragbar, deswegen ist das vollkommen in Ordnung.

Ich bin ein bisschen begeistert vom Geltungsbereich, wie man den vorigen Absätzen unschwer entnehmen kann. Der wirklich wahre Knackpunkt ist aber: es ist günstiger als ein Ticket für den kleinen VRS. Da habe ich nicht schlecht gestaunt. Bevor ich es kaufte, habe ich mich abgesichert, weil ich lange davon ausging dass ich die Konditionen nicht verstehe, weil es mir unlogisch erschien.
„Das kostet weniger als ein VRS-Ticket, gilt aber in ganz NRW, ich darf sogar noch Leute darauf mitfahren lassen? Wo ist der Haken?“ Darauf die VRS-Mitarbeiterin an der Hotline, sichtlich irritiert: „Ja, also… da ist keiner.“ Ich hakte nach: „Können Sie mir erklären, warum es billiger ist, ein Ticket zu kaufen mit dem ich rund um die Uhr durch ganz NRW fahren kann, als ein Ticket mit dem ich erst ab 9 Uhr morgens zwischen Köln, Euskirchen und Erftstadt pendeln darf?“ Sie fing an zu zögern: „Ja, nein, also erklären kann ich das nicht, aber es ist so.“

Es wird wohl nicht oft verkauft, wie mir scheint. Kann mir aber nur recht sein.

Jedenfalls habe ich jetzt meine Mobilität. Und ich bin noch nie so oft mit der Bahn durch die Gegend gegondelt. Das macht sogar Spaß. Man sieht Bahnhöfe und Städte, wo man noch nie war. Und wenn mir wieder mal danach sein sollte, am späten Abend oder mitten in der Nacht einfach mal kurz meinem Leben zu entfliehen, dann fahre ich einfach los und nehme den nächsten Zug, egal in welche Richtung. Aussteigen tue ich, wenn mir danach ist. Oder ich fahre einfach noch eine Stadt weiter. Irgendwie werde ich schon zurückkommen. Mit der nächsten Bahn in die entgegengesetzte Richtung. Möge sich die aktuelle Situation doch bloß rasch wieder normalisieren.