Die letzten fünf

Meine Waschmaschine steht im Keller. Das hat viele Vorteile: sie darf unbeobachtet waschen. Wenn ein Schlauch platzt und ich es nicht mitbekomme, macht mich nicht der Untermieter auf die Pfütze in seinem Wohnzimmer aufmerksam, sondern das Wasser läuft einfach ganz gesittet in den Abfluss. Auch nimmt sie in der kleinen Stadtwohnung keinen Platz im Badezimmer oder der Küche weg. Und wenn ich auf die Idee komme, Sonntag nachts um 3 Uhr einen Kessel Buntes anwerfen zu wollen, dann werfe ich nachts um 3 Uhr einen Kessel Buntes an. Niemanden stört’s, niemand hört’s. Außerdem verfügt mein Waschvollautomat über einen eingebauten Timer, damit ist die Maschine fleißig während ich es im Büro auch noch bin – mehr oder weniger – und fertig wenn ich es auch bin. In der Theorie zumindest.

Die Praxis sieht bezogen auf den Timer ein bisschen anders aus. Ich kann die Startzeit vorprogrammieren und pünktlich wie ein schweizer Uhrwerk fängt sie an zu poltern. Dann zählt sich mich minutenweise herunter, bis sie gedenkt, ihre Arbeit erledigt zu haben.

Wenn ich in den Keller komme, um die frisch gewaschenen Klamotten herauszuholen, begrüßt sich mich mit einem freundlichen aber bestimmten: „Ich brauche noch acht Minuten.“ Gut, denke ich mir. Acht Minuten ist jetzt nicht so viel. Bis ich zurück in die Wohnung gegangen bin, mir die Schuhe ausgezogen und mich der nächsten Tätigkeit zugewendet habe, sind schon fünf vergangen, und dann habe ich mich der nächsten Tätigkeit nur zugewendet und sie keinesfalls begonnen. Dann kann ich mir schon wieder die Schuhe anziehen und mich auf den Weg in den Keller machen, um dann, acht Minuten später, wieder hier unten zu stehen. Also kann ich doch eigentlich gleich hier unten bleiben und dem gemütlichen Getaumelt meiner Socken hinter der Glasscheibe beiwohnen. Hat ja auch was Beruhigendes. Gesagt, getan. Ich mache es mir in der Waschküche stehend so gemütlich wie es geht, schaue auf das kleine Display, betrachte meine Socken und warte.

Noch sieben Minuten. Mensch, das geht ja schnell. Jetzt lohnt sich der Gang zurück in die Wohnung wirklich nicht mehr. Zack, sechs. Schon startet der vermeintlich letzte Schleudergang, das Wasser ist abgepumpt, das Ende naht. Fünf. Fröhliches Schleudern unter Beobachtung. Ich stelle schonmal den Wäschekorb zurecht. Meine Damen und Herren, bitte bringen Sie ihre Lehne in eine aufrechte Position, klappen Sie die Tische ein und schnallen Sie sich an, wir befinden uns im Landeanflug.

Wie lange ich diesen Satz schon nicht mehr gehört habe. Mein lieber Schwan. Aber das ist ein anderes Thema.

Noch sechs Minuten. Ich mache mich warm, um mit einer gekonnten Armbewegung die Entladung meiner Waschmaschine in den dafür vorbereiteten Wäscheauffangbehälter durchzuführen. Moment. Sechs. Wieso sechs? Das hatten wir doch gerade schon. Da müsste doch jetzt schon eine fröhliche fünf zu sehen sein? Wie kommt’s? Na, bestimmt gleich. Fünf. Los. Fünf! Du kannst es! Füüühünf! Nein, irgendwie nicht. Es sind immer noch sechs. Das dauert aber jetzt gefährlich lange. Hat sie das Zählen verlernt? Oder ich? Müsste nach der sechs nicht die fünf kommen? Kommt vielleicht doch gleich die drei? Oder gar die zwei? Nein. Sechs bleibt sechs, es hilft nichts.

Ich versuche, der Waschmaschine Angst zu machen. Ich drehe mich um, tue so als ob ich sie nicht mehr beobachte. Vielleicht kommt sie nicht zum Ende, weil ihr jemand zuguckt. Ich tippe auf zwei Füßen hin und her, so haben wir nun nicht gewettet. Ich bewege mich auf und ab. Sechs. Das kann doch nicht sein. Wieso tut sie mir das an? Ich fange an, mich in Richtung der Tür zu bewegen. Vielleicht irritiert sie das weil sie denkt, ich hätte sie vergessen. Siehe da! Es geht! Fünf! Dann sind die letzten 300 Sekunden jetzt doch bestimmt ein Klacks. Doch es will nicht so recht weiter gehen. Viel zu langsam schreitet die Zeit voran. Ich schaue zur Uhr und zähle die Sekunden mit. Es wird einfach nicht weniger. Auch nach zwei Minuten hat sich noch nichts geregt. Immer noch eine saubere fünf.

Ich weiß ganz genau dass die Maschine genau dann fertig wird, wenn ich mich jetzt dazu entscheide, zurück in die Wohnung zu gehen. Dann springt die Zahl von vier auf null in dem Moment, wo ich die Kellertür hinter mir verschlossen habe. Murphy’s Law. Also gebe ich mich nicht geschlagen. Ich warte. Aber die letzten Minuten ziehen sich wie Kaugummi. Ich bleibe. Ich schaue mir andere Waschmaschinen im Keller an, zähle vorbeifahrende Autos, wette gegen mich selbst, ob das nächste Martinshorn ein Polizeiauto von links nach rechts, oder ein Feuerwehrauto von rechts nach links sein wird. Auch so bekommt man Zeit vertrödelt. Zeit, in der ich mittlerweile fast schon ein Drittel miner Wohnung staubgesaugt hätte.

Die letzten fünf Minuten, die keine sind. Am Ende hat die allerletzte Minute vier gedauert; ja, ich habe die Zeit mitgestoppt und war kurz davor, meinen Kopf gegen die Betonwand zu schlagen. Aber was will man machen. Zeit ist ein dehnbarer Begriff.