Artensterben vor der Tür

Mit ziemlichem Erstaunen habe ich vor ein paar Wochen von einer Studie gehört, die ans Tageslicht brachte, dass auf unseren Kulturflächen ein gefährliches Artensterben eingesetzt hat. Immer weniger Schmetterlinge, Vögel, Würmer und andere Insekten seien auf den Feldern und in den Plantagen zu finden. Auch Bienen und Hummeln surren nicht mehr so häufig um die Blüten der Obstbäume herum wie noch vor ein paar Jahren.
Wirklich? Diese Erkenntnis konnten wir erst durch eine groß angelegte Studie erlangen? Wer auf dem Land lebt, oder viel Zeit auf dem Land verbringt, dem ist das doch schon seit Jahren bewusst, und auch die Gründe dafür kann ich aufzählen, ohne Biologie studiert zu haben und ohne dass ich zuvor eine teure Studie gelesen habe, die den Ursachen auf den Grund gegangen ist.

Dass die reine Zahl der Insekten kontinuierlich zurück geht, bemerkt der aufmerksame Wanderer schon lange. Während früher im Frühling und Sommer zahlreiche Schmetterlinge durch Feld und Flur flatterten, erregt schon die Sichtung eines einzelnen Tieres heute die Aufmerksamkeit. Oh, schau, ein Schmetterling! Nur alle paar Tage sieht man mal einen. Es waren jedoch mal deutlich mehr, und auch viele andere Arten. Man sieht einen Kohlweißling oder einen Zitronenfalter, ich erinnere mich aber an meine Kindheit, in der viele wunderhübsch gezeichnete Tierchen umeinander tanzten. Ich vermag nicht zu sagen, wie viele Arten es waren, aber definitiv mehr als zwei.
Als ich als Kind durch die Obstplantagen gelaufen bin, summte und brummte es überall. Bienen, Hummeln und Wespen waren in den Bäumen unterwegs, ohne dass ich irgendwo Bienenstöcke gesehen habe. Heute herrscht Stille. Es sei denn, ein Imker hat sein Bienenvolk in einer Plantage untergebracht. Dann hört man noch das vertraute Brummen aus den Blüten.
Ähnlich ist es mit allem anderen Getier: weniger Exemplare und weniger artenreich geht es auf unseren Feldern und Plantagen heute zu.

Irgendwie kann ich die Tiere verstehen. „Mensch, hier ist es aber langweilig und öde, überall nur die gleichen Pflanzen, keine Abwechslung mehr und auch Rückzugsorte werden uns hier nicht mehr geboten. Hier möchten wir nicht mehr leben.“ Bums, tot.

Ein Feld reiht sich ans andere, selbst zwischen den Feldern werden die wenigen Bäume und Büsche entlang von Wegen, Bächen und Böschungen entfernt. Die wenigen kleinen Parzellen am Feldrand, die nicht beackert werden, sind entweder total verschmutzt oder werden auch abgeholzt. Der Sinn erschließt sich mir nicht sofort, denn warum sollte man Büsche und Bäume entlang der Bachläufe abholzen. Dennoch wird es gemacht. Aussage der örtlichen Behörden: Gefahr der Stauung des Wassers durch Gehölz, was vom Bächlein selbst mitgeführt wird, daraus resultiert Überflutungsgefahr. Großes Gelächter meinerseits. Denn es handelt sich um kleine Bächlein oder Entwässerungsgräben, die – so lange ich hier lebe, und ich bin über 40 Jahre alt – noch nie über die Ufer getreten sind. Eher das Gegenteil ist der Fall: sie trocknen aus und führen in den meisten Wochen des Jahres kein Wasser. Und wenn doch, dann gerade so viel dass man knöcheltief im Wasser steht, während die Böschung entlang der Bächlein und Gräben mindestens einen bis zwei Meter hoch ist. Für eine Überflutung müsste das Bächlein also das zig-fache an Wasser führen, und das kam in den letzten vierzig Jahren nicht ein einziges Mal vor. Dennoch wird seit einigen Jahren in regelmäßigen Abständen sämtliches Gehölz entfernt.

Wenn das Gehölz nicht entfernt wird, dann verwahrlost es. Wie kann ein kleiner natürlicher Lebensraum von alleine verwahrlosen? Das macht die Natur ja nicht von alleine. Richtig. Das macht der Mensch. Was vor vielen Jahren noch nicht so dramatisch war: der Verschmutzungsgrad der Natur. Denn auch hier ist tragischerweise ein drastischer Trend zu erkennen. Auch die entlegensten Gebiete, viele Kilometer entfernt von der nächsten menschlichen Siedlung und mitten im Nirgendwo, nur umgeben von Feldern und Plantagen so weit das Auge reicht, werden mit Müll verseucht. Hier findet sich üblicherweise kein Fußgänger, sondern nur ab und zu ein Wanderer oder Fahrradfahrer ein, ansonsten nur Landwirte bei ihrer Arbeit auf dem Feld. Dennoch sammelt sich in den Böschungen und in den kleinen Bachläufen alles an, was Menschen nicht mehr brauchen. Autoreifen, Kühlschränke, Fernseher, Autobatterien, Müllsäcke mit Hausmüll oder Farbeimer mit Inhalt. Wirklich. Es gibt nichts, was ich auf meinen Wanderungen noch nicht gesehen habe. Von der Matratze über das alte Fahrrad und einen Küchenschrank, bis hin zu giftigem Sondermüll. Bei jedem Spaziergang ist etwas dabei.
Ich unterstelle, dass Menschen abends oder nachts in die Natur fahren und ihren Müll dort achtlos verklappen. Das war vor vielen Jahren noch nicht so. Dieses Verhalten nimmt drastisch zu. Es ist heute wahrscheinlicher, im Unterholz auf Sondermüll zu stoßen als auf einen Fuchs. Offenbar gibt es in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen, die entweder nicht wissen wo man seinen Müll hinbringt und denen es egal ist was mit der Natur passiert.
Man kann ja auch unbekümmert und in Ruhe seine Altlasten entsorgen. Merken tut das niemand, denn weit ab von jeglicher Zivilisation hat man keine Kontrolle zu befürchten. Niemand ertappt einen, wenn man nachts in Ruhe seine Autobatterien und die Reifen in den Bach wirft, mehrere Kilometer abseits der Straße. Es ist einfach niemand dort draußen, der einen beobachten könnte. Das Menschentier ist ein saudummes egozentrisches Arschloch, generell gesprochen. Menschen die so etwas tun, wünsche ich die Pest an den Hals.

Zurück zur Studie, denn ich schweife ab. Also. Weniger Tiere und weniger Arten. Ist ein schon lange anhaltender Trend. Mich erstaunt die allgemeine Verwunderung über die Ergebnisse der Studie. Denn das zeigt, dass die meisten Menschen mit einer großen Ignoranz durchs Leben schreiten und es ihnen nicht auffällt, wenn vor der Tür die Ödnis Einzug hält.

Man will ja konstruktiv sein und nicht nur meckern: was könnte man gegen dieses Artensterben tun? Mir fallen da ein paar einfache und billige Möglichkeiten ein. Man könnte sich zum Beispiel getrost darauf verlassen, dass es in den nächsten 50 Jahren ganz gewiss keine Überschwemmung in einem kleinen Entwässerungsgraben gibt. Und auch der kleine Bach wird nicht so frech sein, über die Ufer zu treten. Denn erstens hat er das noch nie gemacht und zweitens wird er durch das wärmere Klima sowieso immer schmaler. Also besteht auch keine Notwendigkeit, sinnlos den Baumbestand zwischen den Feldern und am Wegesrand zu dezimieren. Bäume und Sträucher kann man ruhig mal ein paar Jahre wachsen lassen. Die Vögel wird es freuen, und auch Familie Fuchs hat ein bisschen mehr Schatten vor der Bude.
Zweitens, und jetzt wird es mutig, könnte man einfach bei jedem Feld oder an jeder Plantage an einer Seite einen 1 Meter breiten Streifen sich selbst überlassen. In den Plantagen wäre der Platz sofort verfügbar, ohne dass der Landwirt eine Reduzierung seines Ertrags zu fürchten hätte. Und bei den Getreide- oder Maisfeldern wäre der Ertrag bestimmt nur geringfügig niedriger, wenn man 0,5 Prozent der Nutzfläche der Natur überlassen würde. Das würde sich vielleicht sogar dadurch rechnen, dass durch die gewonnene Fläche die Zahl der Insekten und Tiere leicht ansteigt. Und mit mehr Insekten und Kleintieren ist das mit der Befruchtung der Blüten vielleicht effektiver gelöst. Führt möglicherweise sogar zu einer kleinen Ertragssteigerung.

Ganz abgesehen davon sähen die Landschaften wieder schöner aus, wenn zwischendurch mal eine Baumreihe Schatten spendet oder ein paar Büsche Nistplätze für die Vögel böten. Wenn man dann noch das Problem mit den Idioten in den Griff bekäme, die illegal ihren Sondermüll in die Natur schmeißen, dann wäre die Welt ein kleines Stückchen besser, ohne dass es jemanden teuer zu stehen kommt.