Zu weit weg vom Paradies

Sport ist gesund. Wenn er nicht nur anstrengt sondern obendrein noch richtig viel Spaß macht, ist das eine klassische Win-win-Situation für die Gesundheit. Man tut sich etwas Gutes und hat bei all der Anstrengung noch Freude. Viele spielen Fußball, joggen oder gehen ins Fitnessstudio. Für mich ist das alles nichts. Gut, das Joggen habe ich in jungen Jahren regelmäßig gemacht, aber da lebte ich auch noch am Stadtrand und hatte die Felder mit unendlich langen und schönen Feldwegen direkt vor der Tür. Jetzt müsste ich mich zuerst ins Auto setzen, wenn ich nicht an den Hauptverkehrsstraßen joggen möchte. Und nein, das möchte ich nicht. Aber zuerst woanders hin zu fahren, um hinterher geschwitzt wieder zurück zu fahren, das ist absolut nicht nach meinem Geschmack. Ich hege große Sympathie für alles, was mit Wasser zu tun hat. Am besten aber nicht mit einer nach Chlor riechenden und im Sommer immer überfüllten städtischen Pfütze in vier Wänden, sondern mit dem großen Wasser. Das gestaltet sich schwieriger, wenn man nicht am Meer wohnt sondern eine weite Anfahrt in Kauf nehmen muss. Weit im Sinne von ziemlich weit. 300 Kilometer für eine Strecke.

Rudern, schwimmen, tauchen, all das könnte man auch hier im Umfeld machen ohne eine große Anfahrt vor sich zu haben. Aber das wäre ja viel zu einfach für mich. Nein, ich möchte es schon komplizierter haben. Und was kommt dann in Frage? Richtig, Kitesurfen. Dafür sind im Binnenland die Seen zu klein, der Uferbereich zu bewaldet, und der Sport generell zu verboten. Was bleibt einem dann also anderes übrig, als den Sport dort auszuüben, wo er erlaubt und möglich ist. Und das ist nunmal am Meer.

Schon seit vielen Jahren bewundere ich die Kitesurfer, die scheinbar schwerelos übers Wasser gleiten und mit dem Wind in ihren großen Drachen spielen, an denen sie hängen. Viel zu viele Jahre habe ich gewartet, bis ich mich zu einem Kitekurs angemeldet habe. Im Alter von knapp 40 Jahren damit anzufangen, war einfach mal zehn Jahre zu spät. Das ändert aber nichts an dem riesengroßen Lächeln, was einem ins Gesicht geschrieben ist wenn man im Neoprenanzug in der Nordsee dümpelt. Es macht unfassbar viel Spaß, selbst wenn man es nicht kann. So wie ich. Leider. Es ist ein bisschen so wie Fahrradfahren. Wenn man es einmal gelernt hat, dann können Monate oder Jahre zwischen zwei Ausflügen liegen, man braucht definitiv keine Stützräder mehr, auch wenn einem der Hintern weh tut. Dafür muss man aber einmal, ganz zu Beginn, so weit gekommen sein dass man ohne Stützräder fahren kann. Das ist bei mir nicht der Fall. Also beim Kitesurfen, nicht beim Fahrrad fahren. Ich habe zwei Kurse gemacht, kann den Kite auch beherrschen, aber komme im Wasser einfach nichts aufs Brett. Es gibt dagegen ein ganz einfaches Mittel, und dass ist das selbe wie beim Fahrradfahren: üben, üben, üben. Wenn man einmal den Dreh raus hat, geht es. Das sagen alle, die erfolgreich an einem vorbei flitzen. Jetzt könnte ich die Schuld beim Wetter suchen, was in der Urlaubszeit nie das richtige ist. Ist vielleicht auch ein Grund, denn wenn man – erst Recht als Anfänger – nach den richtigen Wetterbedingungen Ausschau hält, dann kommt halt zu Beginn nur ein kleiner Windbereich in Frage, und die Richtung muss auch stimmen, und es sollte auch bestenfalls nicht gerade Ebbe sein. Wenn man den Dreh erstmal raus hat, können auch die Windbedingungen erweitert werden, und auch die Richtung ist dann nicht mehr ganz so wichtig. Aber dahin muss man erstmal kommen.

All das wäre kein Problem, wenn man in der Nähe des Meeres wohnen würde. Dann hätte man jeden Tag Zeit und könnte schnell mal nach Feierabend an den Strand gehen. Man hätte zumindest theoretisch 365 Tage im Jahr Zeit. Oder sagen wir mal 250, den kältesten Winter ausgeklammert. Wenn aber das Meer so weit weg ist, ist es ungeheuer schwierig, den passenden Zeitpunkt zu erwischen. An den wenigen Tagen wo es ginge, muss man arbeiten und fährt halt nicht mal eben die 300 Kilometer nach Feierabend ans Meer, um am nächsten Morgen wieder zur Arbeit zu gehen. Unmöglich.

Ein weiterer Grund, ans Meer zu ziehen und sich einen neuen Job zu suchen. Denn auch wenn ich es nicht kann: allein das hilflose Herumeiern im Meer macht Spaß, wie toll muss es dann erst sein wenn ich ein einziges Mal den Kniff beherrsche, auf dem Brett zu bleiben.