Der kleine Supermarkt gegenüber stand kurz vor der Pleite. Das war abzusehen, denn im Laufe der letzten Monate waren immer weniger Kunden gleichzeitig im Markt. Oft war sogar nur ein einziger Kunde im Laden. Nachdem in der Nähe ein zweites großes Einkaufszentrum eröffnet hatte, fuhren die Menschen halt lieber dort hin, wo sie neben zwei Supermärkten noch eine Drogerie, eine Apotheke, eine Zoohandlung und einen Ein-Euro-Shop zur Auswahl hatten. Der Markt gegenüber konnte nicht mehr mithalten. Das Ladenlokal ist nur etwa 150 Quadratmeter groß, und die Auswahl war nicht sehr überzeugend. Vieles gab es nicht, und warum sollte man überhaupt noch dort hin gehen, wenn man wegen einzelner Artikel sowieso noch ins Einkaufszentrum fahren musste.
Irgendwann merkte man auch, dass die Mitarbeiter aufgegeben hatten. Sie kümmerten sich nicht mehr um ihr Geschäft. Kleine Reparaturen wurden nicht mehr durchgeführt, der Laden wirkte zunehmend unaufgeräumt und schlampig geführt. Dadurch fühlten sich natürlich noch weniger Kunden angezogen, was die Abwärtsspirale an Fahrt aufnehmen ließ. Ich bin schon davon ausgegangen, plötzlich vor verschlossenen Türen zu stehen und hatte mich mehr oder weniger mit dem Gedanken angefreundet, in Zukunft nicht mehr zu Fuß einkaufen gehen zu können.
Dann war es soweit. Eines Tages war die Tür verschlossen und in großen Buchstaben war zu lesen: „Wir bauen um“. Moment. Wir bauen um? Es geht also weiter? Wie kommt’s? Ich gebe zu, dass ich zu diesem Zeitpunkt dem ganzen Unterfangen wenig Chancen eingeräumt hatte. Denn wenn durch den Umbau für ein paar Wochen erstmal alle Kunden weg bleiben, ist es sehr fraglich ob sie wiederkommen, wenn das Geschäft neu eröffnet. Möglicherweise bekommen sie die Neueröffnung nicht einmal mehr mit. Aber gut, dann warten wir mal ab.
Ein paar Wochen später stand eine kleine Fahne vor dem Lokal und die Tür war offen. Es war alles getauscht worden. Von der Leuchtreklame über das Interieur, alle Regale, die Kassen, die Wandverkleidungen, alles. Ein neuer Laden. Mit neuen, jungen und sehr freundlichen Mitarbeitern und einem neuen Namen. Sie haben das geschafft, was ich nicht für möglich gehalten habe. Das Sortiment ist klein aber fein, man bekommt alles was man benötigt und hat bei vielem sogar noch Auswahl zwischen mehreren Marken. Die Öffnungszeiten wurden angepasst und heute ist der Laden zu keinem Zeitpunkt mehr leer. Manchmal sind sogar zwei Kassen geöffnet, damit man nicht so lange warten muss. Einkaufszentrum? Braucht man nicht. Alles in fußläufiger Distanz erreichbar. So muss es sein.
Auch wenn ich woanders arbeite als im Einzelhandel, so wünsche ich mir von meinem eigenen Arbeitgeber den gleichen Mut und die gleiche Investitionsbereitschaft wie bei den neuen Besitzern des kleinen Ladens. Denn bei uns sieht es ähnlich aus wie in dem Laden vor der Umstrukturierung: alt, ein bisschen muffig, und an vielen Stellen werden nur Schönheitskorrekturen vorgenommen, um den Verfall hinter den Fassaden zu übertünchen. Investitionen? Fehlanzeige. Der Weg scheint vorgezeichnet.
Unsere Branche funktioniert anders, hört man dann. Das ist auch wirklich so. Der Preisverfall unserer Dienstleistungen ist immens, auf der anderen Seite müss(t)en wir hohe siebenstellige Beträge investieren, um mit dem technologischen Fortschritt mithalten zu können. Da klafft eine Lücke, die nicht zu schließen ist. Das ist jedem bewusst. Ist dann also unser Geschäftsmodell verkehrt? Vermutlich ja. Sehr sicher sogar. Wenn ich aber den Quervergleich zu anderen Unternehmen unserer Branche ziehe, zu unseren direkten Wettbewerbern, alle haben das gleiche Problem. Alle kämpfen, und es scheint als würde das Boot langsam voll Wasser laufen. Die Branche ist in einer Schieflage. Das wäre einfacher zu ertragen, wenn man das Gefühl hätte, dass man nicht der einzige mit diesem Gefühl ist. Dem Management ist vieles egal, so scheint es. Jeder ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht, die Zukunft der Firma ist keinem wirklich wichtig. Man kann es also auf Defizite im Management reduzieren, die – und die Glaskugelei tut mir in der Seele weh – wahrscheinlich dazu führen dass unser Unternehmen in nicht all zu langer Zeit herbe Einschnitte vornehmen muss, vorsichtig formuliert. Nur mit Glück kommt der Laden durch. Mit weniger Glück nicht mehr. Wenn man wenigstens das Gefühl hätte, dass das Management dagegen ankämpfen würde, wäre vielen Mitarbeitern geholfen. So wie es im Moment allerdings ist, sieht die Zukunft leider sehr dunkel aus.
Ich bin mir sicher, dass man in unserer Branche Geld verdienen kann. Dafür müsste man aber erst einmal Geld reinstecken. Geld, was man nicht hat. Und die, die es einem geben könnten, wollen nur eine hohe Rendite erwirtschaften und sägen damit am Ende am eigenen Ast. Dadurch geht das Unternehmen kaputt. Und das investierte Geld geht in Gänze flöten. Wir haben zu kämpfen um das Boot über Wasser zu halten. Wer will da schon investieren?
Das ist unsere Abwärtsspirale. So viel Mut zum Risiko wie bei dem kleinen Supermarkt wird es bei uns nicht geben, auch wenn ich überzeugt bin dass der Mut belohnt werden würde. Es ist Zeit sich mal über Fallschirme und Rettungsboote zu informieren.