Am Sonntag klingelte der Wecker um 6 Uhr. Normalerweise schlafe ich aus, zwar nicht mehr so lange wie noch vor ein paar Jahren, aber das schiebe ich auf die senile Bettflucht. Insofern kein Problem. Sechs Uhr hingegen ist ein Problem, denn so senil ist meine Bettflucht noch nicht. An diesem Sonntag allerdings bin ich gerne so früh aufgestanden.
Nachdem die letzten Wochen mal wieder sehr anstrengend waren, wollte ich unbedingt den Kopf frei bekommen. Abschalten. Nicht über die Arbeit nachdenken. Und wo klappt das besser als am Meer. Der Wind pustet um die Nase, die Sonne wärmt, das Wasser ist angenehm kalt und salzig. Es ist ein Tick von mir, dass ich bei jedem Besuch das Meer schmecken muss, ob das Salzwasser noch salzig ist. Mich würde mein eigenes Gesicht interessieren, sollte das Meerwasser eines Tages so schmecken wie Leitungswasser.
Jedenfalls stand ich früh auf und bin auch früh aus dem Haus gekommen. Um 8 Uhr saß ich schon auf der Autobahn. Es sind gute drei Stunden Fahrt von zuhause bis nach Holland ans Meer. Sonntags um diese Uhrzeit sind die Straßen schön leer, und man kommt schnell bis an die Grenze. Ab der Grenze ist es dann sowieso egal. Das Urlaubsgefühl stellt sich ein, obwohl ich weiß dass ich am selben Abend wieder in meinem eigenen Bett liegen werde. Es unterbrach nicht eine rote Ampel meine Fahrt. Ich bin zuhause losgefahren und am Meer zum ersten Mal stehen geblieben. Toll. Um ziemlich genau 11 Uhr hatte ich Sand zwischen den Zehen, konnte das Meer riechen und spürte den Wind. Zack, Entspannung.

Der Blick schweifte bis an den Horizont, die Gedanken noch viel weiter. Die wenigen anderen Strandgäste störten nicht. Es war genug Platz da. Die ersten Meter im Sand waren noch ein bisschen holprig, schließlich war es mein erster Besuch in diesem Jahr. Dann zog ich mir die Schuhe und Socken aus und lief barfuß durch den Sand. Schon viel besser. Nach wenigen Schritten blieb ich zum ersten Mal stehen und blicke zum Horizont. Diese Weite und scheinbare Endlosigkeit sind wohl das Beeindruckendste. Neben all den anderen Dingen wie Muscheln, Sand, Meeresrauschen, Luft, Salz auf den Lippen, Sonne. Meist gefällt es einem dort besser, wo man nicht lebt. Das ist wohl auch der Grund, warum man woanders Urlaub macht als zuhause. Ich bin aber der felsenfesten Überzeugung dass es mir am Meer auch immer noch gefallen würde, wenn ich dort lebte. Mein Großvater fuhr zur See, mein Vater zeitweise auch. Vielleicht bekommt man sowas mit den Genen vererbt. Nur dass ich diesem Drang nicht nachgeben kann, denn meine Arbeit lässt mich nie ans Meer ziehen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ging ich ein paar Schritte weiter, um wieder unvermittelt stehen zu bleiben. Die vielen Kitesurfer zogen meine neidischen Blicke an. Ein toller Sport, doch dazu in einer anderen Geschichte mehr. Für heute musste es mir reichen, nicht aufs Wasser zu gehen. Aber beobachten darf man doch, oder? Auch ein paar Minuten länger. Aus den Minuten wurde bestimmt eine Viertelstunde, bevor ich weiterging. Jetzt aber. Ab an die Brandungszone und mit den Füßen ins Wasser. So konnte ich dann ein paar Kilometer den Strand entlang wandern.
Ich weiß nicht wie weit ich kam, weil mir das Gefühl für meine Geschwindigkeit vollkommen fehlte. Ich weiß aber noch, dass ich irgendwann auf die Uhr geschaut habe und zu meiner Überraschung feststellen musste, das schon zweieinhalb Stunden vergangen waren. Rechts noch immer das Meer, links noch immer die Dünen, aber in einer auffällig anderen Formation als noch zu Beginn. Also kehrte ich um. Jetzt, mit der Sonne im Rücken, sah der Strand ganz anders aus. Genau so schön wie vorher, aber doch anders. Zum Glück konnte ich diese Perspektive noch einmal zweieinhalb Stunden genießen, denn schließlich musste ich ja irgendwie zurück kommen.
Der Wind war mittlerweile fast vollkommen eingeschlafen, die Kitesurfer hatten sich bis auf wenige Ausnahmen mit ganz großen Schirmen auf den Heimweg gemacht. Nach fünf Stunden war mir irgendwie nach einer Tasse Kaffee. Mit Blick aufs Meer in einen gemütlichen Stuhl gelehnt, entspannte ich meine Füße noch eine Weile. Obwohl ich in der prallen Sonne saß, konnte man es dort sehr gut aushalten. Der Wind brachte die nötige Abkühlung.
Nach einer Stunde habe ich mich dann auf den Heimweg gemacht, an den ich nicht wirklich eine Erinnerung habe. Mein Auto fuhr die Strecke fast von alleine, und die Gedanken ans Meer haben mich noch bis in den späten Abend hinein begleitet.
Insgesamt sechs Stunden Autofahrt für sieben Stunden am Meer, für manche eine Milchmädchenrechnung. Für mich das Beste, was ich tun kann. Natürlich nicht ohne festzuhalten, dass die Nordsee zum Glück noch immer salzig schmeckt.
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