Menschen ertrinken im Mittelmeer. Das gilt es zu verhindern. Uneins ist man aber über die Maßnahmen. Nachdem sich eine deutsche Kapitänin relativ medienwirksam mit den Italienern in die Wolle bekam, sollte man doch resümieren dass der Weg den sie eingeschlagen hat, auf vielen Ebenen nicht der optimale war.
Wir sind uns einig: in Seenot geratene Menschen müssen gerettet werden. Punkt. Das verdient einen eigenen Absatz, denn ich befürchte dass meine nächsten Sätze leider mit Absicht falsch verstanden werden. Nochmal: Menschen in Seenot gehören gerettet. Unabhängig vom Meer aus dem man sie fischt, unabhängig von der Nationalität des havarierten Schiffes.
Ohne die Italiener besser zu kennen unterstelle ich ihnen, dass sie das ähnlich sehen. Auch die Politiker, die vor Kurzem laut schimpften. Keiner sagte: lasst sie verrecken. Wenn ein Schiff ein in Seenot geratenes Boot findet, werden Schiffbrüchige aufgenommen. Selbst von einem italienischen Schiff unter der Führung eines rechtspopulistischen Kapitäns. Der Punkt ist doch, dass die deutsche Kapitänin stellvertretend für die Migrationspolitik eines Landes steht, die in anderen europäischen Ländern so nicht die Regel ist. Wir stellen uns für ein paar Minuten mal vor, die Situation sei andersherum: unser Land habe die Grenzen dicht gemacht, so wie Italien. Unser Land möchte die Aufnahme an Migranten stark begrenzen, so wie Italien. Und in unseren Häfen legten immer wieder italienische Kapitäne an, privat finanziert oder von NGOs, und brächten immer wieder Menschen auf unser Staatsgebiet. Obwohl unsere Regierung und große Teile unserer Bevölkerung das ablehnen, und unsere Gesetze das unter Strafe stellen. Würden wir sie nicht auch beschimpfen und verurteilen? Wir würden doch genau so behaupten, sie seien linksgerichtete Aktivisten, denen Recht und Gesetz egal sind. Die sich aus moralischen Aspekten für bessere Menschen halten weil sie doch helfen und retten, wo aus unserer Sicht Härte und Konsequenz angezeigt sind. Die sich in ihren Heimatländern im zweifelhaften Licht ihrer Heldentaten sonnen, die Schiffbrüchigen bei uns absetzen, als Helden vom Hof reiten, und uns mit den Problemen alleine lassen.
Was mir sehr missfiel, war die Art und Weise, mit der sie zur Heldin stilisiert wurde. In meinen Augen ist sie keine Heldin. Nachdem sie es bis ans Steuer eines Rettungsschiffes geschafft hat, war es indes einfach, in Deutschland zur Heldin zu werden. Und zwar egal wie die Umstände auf ihrem Schiff in Wirklichkeit waren. Allein die Tatsache, dass sie auf dem Mittelmeer herumschippert um Flüchtlinge aufzunehmen, macht sie zur Heldin. Finde ich schwierig.
Die Außenwirkung solcher Rettungsaktionen kann in den Herkunftsländern der Flüchtenden eine ganz andere sein. Bezahle Deinen Schlepper, und der bringt Dich dann aufs offene Meer. Bestenfalls nur so weit, dass Du von Rettern in internationalen Gewässern unweit der Küste aufgegabelt, und dann den weitaus größeren Teil der Reise in einem sicheren Schiff nach Europa gebracht wirst. Somit wird aus dem in Seenot geratenen Schiff in dem Du sitzt, ein mehr oder weniger mit Vorsatz in Seenot gebrachtes Schiff. Die Schlepper machen ein gutes Geschäft, und auch wenn nicht alle Flüchtlingsboote aufgegriffen werden, so stehen die Chancen wahrscheinlich besser als wenn Du an Europas Landesgrenzen ankommst. Das ist brutal, das ist unmenschlich, das ist absolut nicht in Ordnung. Aber Schlepperbanden sind brutal, unmenschlich und absolut nicht in Ordnung.
Ich denke dass es ein Irrglaube ist, dass man den Flüchtlingen einen Gefallen tut, wenn man sie mit Rettungsschiffen nach Europa fährt. Rettungsschiffe ja, denn ertrinken dürfen sie nicht. Aber es muss eine andere Lösung geben als sie nach der Rettung an die nördliche Küste des Mittelmeeres zu fahren. Wenn die Rettungsschiffe sie statt dessen in ihre Heimathäfen zurückbringen und den Behörden übergeben würden, wäre der Effekt viel nachhaltiger: suche Dir keinen Schlepper, der Dich übers Meer bringen will. Denn entweder stirbst Du auf der Überfahrt, oder Du wirst als Schiffbrüchiger gerettet, kommst dann aber zurück in das Land Deiner Abreise und Dein Fluchtversuch ist gescheitert. Übers Meer zu fliehen darf nicht gleichbedeutend sein mit einer garantierten Einreise in Europa sobald Du am Horizont die Silhouette des Sea-Watch Schiffes gesehen und es Kurs auf Dein Schlauchboot genommen hat. Was erwiesen ist: seitdem beispielsweise Italien seine Grenzvorschriften rigoros verschärft durchgesetzt hat und Flüchtlinge vom Meer überwiegend ablehnt, fahren de facto auch weniger Flüchtlingsboote los. Weil letztendlich jedem Flüchtenden bewusst ist, dass er wenig Chancen auf dem Seeweg hat. Es gibt keinesfalls einen Automatismus von Schlepper, Schlauchboot, Rettungsboot, Europa. Das ist zum Vorteil aller Flüchtlinge, die sich andere Wege suchen und sich in stetig weiter abnehmender Zahl auf Schlepper einlassen, von denen sie in Boote gesetzt werden. Sie auf halber Strecke aufzugabeln spielt den Schleppern in die Karten, denn beim nächsten Mal können sie die ärmsten der Armen noch mehr abzocken, in dem sie ein noch brüchigeres Schlauchboot für die Überfahrt auswählen. Mit dem Gedanken im Kopf: da sind die Rettungsschiffe, warum soll ich ein besseres Boot kaufen.
Wie schon eingangs erwähnt: es gilt zu verhindern, dass Menschen auf dem Meer ertrinken. Das erreicht man aber nicht, wenn man sie durch die Rettungsmaßnahmen immer wieder aufs Meer hinauszieht. Ich kann die Italiener verstehen, die unsere Kapitänin nicht mögen und sie vor Gericht gezerrt haben. Denn durch ihr Verhalten, nämlich Schiffbrüchige einzusammeln und auf die andere Seite des Meeres zu fahren, verleitet sie weitere Menschen zur Flucht übers Meer, ohne dass diese großartig Aussicht oder gar eine Garantie auf Rettung hätten. Insofern kann man ihr auch ernsthaft das unterstellen, was die Italiener getan haben: die illegale Migration zu befeuern und den Schleppern einen Bärendienst zu erweisen. Hätte sie die Schiffbrüchigen eingesammelt und zurück gebracht, wäre sie eine Heldin. Dann hätte sie Menschenleben gerettet und gleichzeitig ein deutliches Zeichen gesetzt, dass die Flucht übers Meer grundsätzlich eine schlechte Idee ist. Somit hätte sie vielleicht andere von der Flucht in Booten abgehalten und damit auch deren Leben gerettet, ohne sie jemals gesehen zu haben.
Dass die Rückführung nicht die beste aller Lösungen ist, ist unbestritten. Wenn man aber die Wahl hat zwischen dem Flüchtlingscamp und der Lebensgefahr auf See, dann sollte zugunsten des Aufenthalts im Herkunftsland entschieden werden. Ab dem Punkt greifen dann politische Maßnahmen um die Situation vor Ort zu verbessern und noch einen Schritt vorher anzusetzen, nämlich bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Vollständig verhindern wird man die Migration nicht. Viel zu viele haben Anlass zur Flucht aufgrund von Krieg und Vertreibung in ihrer Heimat. Man muss dennoch versuchen, sie weiter einzudämmen. Das primäre Ziel liegt darin, dem Ertrinken im Mittelmeer ein Ende zu bereiten. In ihrer unendlichen Hilflosigkeit nutzen die Menschen dort aber jede sich bietende Gelegenheit und gehen ein viel zu hohes Risiko ein. Dem wirkt man nur nachhaltig entgegen wenn man den Fluchtkorridor Mittelmeer vollständig schließt. Das scheint menschlich hart zu sein und es passt nicht zu der Selbstgefälligkeit von Organisationen wie Sea-Watch oder Sea-Eye. Aber es ist die einzige Möglichkeit, ein deutliches Zeichen zu setzen: egal was Du machst, wähle nicht den Weg übers Meer.