ESCape from hell

Mit ausreichend zeitlichem Abstand kann man wohl festhalten, dass der Eurovision Song Contest in diesem Jahr für Deutschland nicht besonders erfolgreich war. Im Fernsehen schaue ich den Wettbewerb nicht, habe ihn noch nie von Anfang bis Ende geschaut, hat mich noch nie interessiert. In Ausschnitten schon, wenn ich beim Zappen zufällig bei der Live-Übertragung gelandet bin. So auch in diesem Jahr; der Spielfilm war vorbei, und irgendwann kommt man fast automatisch beim Ersten an.

Zu dem Zeitpunkt flogen gerade Hexen auf langen Besenstielen durch den Himmel. Der Gesang ließ mich zusammenzucken und instinktiv die Lautstärke am Fernseher reduzieren. Die Einblendung am unteren Bildschirmrand verriet das Herkunftsland: Australien. Beim ESC, einem eigentlich europäischen Gesangswettbewerb, so zumindest in meiner Erinnerung. Warum Australien teilnahm, erfuhr ich wenig später: weil der Wettbewerb dort sehr beliebt ist. Da kann man von halten was man möchte, ich fand es seltsam. Ist vielleicht ein netter Zug der Veranstalter, dachte ich mir. Aber warum schicken die Australier dann ausgerechnet fliegende und singende Hexen ins Finale?

Man sollte wahrscheinlich nicht allzu viele Fragen stellen, beim Finale des ESC. In meinen Kindheitserinnerungen war das Bild noch schwarzweiß, und die Teilnehmer gaben Lieder zum Besten, die zumindest entfernt etwas mit der Kultur ihrer jeweiligen Heimatländer zu tun hatten. Auch wenn es sich nur um die Landessprache handelte. Es kommt mir so vor als sei das heute nicht mehr der Fall. Es war irgendwie ein Kabinett von Kuriositäten, und nach zwei oder drei Liedern habe ich wieder umgeschaltet. Ich war mir sicher, nichts zu verpassen.

Wenn man sich dann ein bisschen umhört, sind es meist internationale Produzenten, die sich Stars aus den Teilnehmerländern holen. Ab und zu wohl noch nicht mal aus den Ländern, für die sie antreten. Das führt im Endeffekt dazu, dass da Künstler singen, die noch nicht einmal zwangsläufig mit der Kultur des Landes groß geworden sind, das sie präsentieren. Somit singen da schlussendlich nur irgendwelche Leute irgendwelche Lieder. Eine gewisse Nebensächlichkeit tut sich auf.

Auch die größten Bühnen, tollsten Lichteffekte und teilweise bis zur Unkenntlichkeit gestylten Masken und Kostüme vermögen nicht zu verhindern, dass der ESC den Eindruck hinterlässt, als sei er aus der Zeit gefallen. Da hilft es nichts, wenn Peter Urban die einzige Konstante ist, die den Wettbewerb seit gefühlten Erdzeitaltern kommentiert. Für mich zeichnet sich die Veranstaltung durch eine Aneinanderreihung von – man möge mir verzeihen – überwiegend komischen Liedern aus aller Herren Länder aus. Am Ende werden Punkte vergeben, teils nach musikalischer Qualität, größtenteils aber nach Sympathie, was es noch weniger nachvollziehbar werden lässt. Irgendwer gewinnt und darf das Finale mit ins eigene Land nehmen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass in manchen Ländern die Fernsehmacher in ihren Sofas sitzen und den ganzen Abend zu Chips und Cola ein Mantra flüstern: „Bloß nicht gewinnen, bloß nicht gewinnen, bittebitte bloß nicht gewinnen!“. Herzlichen Glückwunsch an die arme Sau, die den teuren Zirkus im nächsten Jahr veranstalten muss.