Was ist das besondere an Heimat? Gibt es einen Unterschied zwischen der Heimat und dem Ort, an dem man gerade zuhause ist? Ich denke schon. Heimat ist für mich verbunden mit einem Gefühl von Zugehörigkeit. Eine Stadt oder ein Landstrich, in dem man sich verwurzelt fühlt, auch wenn man dort nicht zwangsläufig wohnt oder sehr lange nicht dort war. In meinem Fall: der Norden Deutschlands. Was diese Landschaft für mich ausmacht, sind abgesehen von dem Meer, dem Duft von salziger Luft und den Schafen auf dem Deich nicht zuletzt auch die Menschen. Wohnen tue ich dort aber leider nicht. Auch aufgewachsen bin ich weit weg von der Küste, nämlich in der Nähe des Rheins. Dort lebe ich auch nach wie vor; dort habe ich meine Arbeit, meinen Wohnort, ein paar Freunde und auch meine Familie. Ein heimatliches Gefühl will sich hier aber nicht so recht einstellen, auch nicht nach vierzig Jahren. Was ist also der Unterschied zwischen Heimat und dem Ort, an dem man zuhause ist?

Es ist nicht so als ob mir die Landschaft hier nicht gefällt. Die Gegend hat durchaus ihren Reiz, das stelle ich mit zunehmendem Alter immer öfter fest. Man ist schnell im Grünen, raus aus der Stadt und weg den Menschen.
Es ist auch nicht so als ob mir die Menschen nicht zusagen. Zwar ist die rheinische Mentalität sehr gewöhnungsbedürftig und ich werde mich ganz bestimmt nie als Rheinländer fühlen oder bezeichnen, aber ich habe gelernt, mich mit der Lebensart zu arrangieren. Ich weiß wie ich es schaffe, dass mich der Rheinländer in Ruhe lässt: in dem ich auch ihn in Ruhe lasse und zu bestimmten Zeiten einfach ganz weit weg bin, im Norden zum Beispiel. An Karneval, oder auch grundsätzlich dann wenn sich die Großstädter selbst beweihräuchern und denken, sie seien der Nabel der Welt, halte ich mich raus.
In der norddeutschen Mentalität fühle ich mich viel wohler, obwohl ich niemals wirklich dort gelebt habe. Dennoch bin ich dort irgendwie zuhause. Die Kühle und Distanziertheit, die man dem Norddeutschen nachsagt, kann ich nicht bestätigen. Andererseits sagt man dem Rheinländer aber auch nach, aufgeschlossener und freundlicher zu sein. Das kann ich genau so wenig bestätigen. Es klingt komisch, aber vielleicht bekommt man eine Lebenseinstellung doch auf irgendeine Art und Weise mit der Muttermilch auf den Weg gegeben: geboren weit oben im Norden, im Herzen Küstenkind. Ein Leben lang.
Wann immer ich im Auto sitze und gen Norden fahre, fühlt es sich innerlich an als würde ich nach Hause fahren, obwohl der Norden, niemals mein Zuhause war. Ich wurde dort geboren, und bin noch im Säuglingsalter ins Rheinland verschleppt worden. Eigentlich hätte ich also beste Chancen gehabt, ein waschechter Rheinländer zu werden. Aber egal zu welcher Jahreszeit oder zu welchem Anlass ich nach Norddeutschland fahre, fühlt es sich besser an als es sich je anfühlte, ins Rheinland zurück zu kommen. Wenn ich auf der A1 das Ruhrgebiet hinter mir gelassen habe, verändert sich die Landschaft sofort. Schon im Münsterland, was ja in Teilen noch zu Nordrhein-Westfahlen gehört, sieht man den Häusern an, dass man nicht mehr im Rheinland ist. Je weiter nördlich, desto besser.

Es gibt also ganz offenbar wirklich einen gewaltigen Unterschied zwischen Heimat und Zuhause. Heimat kann weit entfernt sein, aber man ist immer mit ihr verbunden. Zuhause ist eben da, wo man gerade ist. Damit geht keine Bewertung einher, denn Zuhause kann ja auch schön sein, aber es wird nicht zwingend zu einer Heimat. Immer öfter denke ich darüber nach, was wäre wenn ich meine Heimat zu meinem zuhause machen könnte. Ich würde nicht lange zögern, wenn sich die Gelegenheit böte. Umzug, Ortswechsel, alles kein Problem. Ob es aber in Wirklichkeit jemals geschieht, zweifele ich stark an. Also bleibt mir nichts anderes übrig als mich damit abzufinden, dass hier mein zuhause ist, und ich muss das Beste daraus machen. Mich damit arrangieren. Das wird funktionieren, da bin ich sicher, aber ich befürchte dass ich mir irgendwann die Frage stellen werde, was gewesen wäre wenn ich zu einem früheren Zeitpunkt die Biege gemacht hätte. Spätestens dann, wenn mich die ausgewachsene Midlife-Crisis trifft und ich viele Entscheidungen meines Lebens anzweifeln werde, gehört die Frage nach Heimat und Zuhause garantiert auch dazu. Ob ich dann jedoch die Möglichkeiten und den Mut habe, noch etwas zu ändern, ist fraglich. Man hat sich dann an Zuhause gewöhnt, man hat sich sein Leben so organisiert dass vieles einfach und bequem ist. Auch jetzt schon hält mich niemand davon ab, zu Besuch in meine Heimat zu fahren, wenn ich will an jedem Wochenende.
Eins ist aber gewiss: wenn ich in meiner Heimat leben würde, käme es mir nicht in den Sinn, ins Rheinland zu fahren. Hier ist nichts, was ich vermissen würde. Die Menschen, die ich in meinem Leben habe, sind natürlich davon ausgenommen. Kann ich sie in einen großen Koffer packen und mitnehmen?
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