Wer kommt denn bloß mit 280 Zeichen aus, um der Welt die größten Neuigkeiten zu berichten? Das reicht doch nie und nimmer aus. Man braucht doch viel mehr Zeichen um seine Sichtweise zu schildern, um Zusammenhänge zu beschreiben und um die Welt zu erklären.
Wenn Twitter in seiner Anfangszeit als öffentliches Tagebuch gedacht war, in dem Du und ich uns über das Wetter auslassen, über Katzenvideos und den neuesten Tratsch aus der Nachbarschaft, dann hat es eine ziemlich beeindruckende Entwicklung hingelegt. Positiv beeindruckend aus Sicht von Twitter, negativ beeindruckend aus meiner Sicht. Wenn ein Präsident über den Kurznachrichtendienst internationale Abkommen aufkündigt, Staaten der Kriegstreiberei bezichtigt und jede Menge große und kleine Lügen verbreitet – ein Präsident! – dann kann er darüber auch einen Krieg beenden. Oder ihn beginnen. Das tragische ist, dass dieses Vorgehen mittlerweile salonfähig ist. Weil eben jedes Unternehmen, jede Regierung, und jeder Hanswurst seine Weisheiten über Twitter ungefiltert in die Welt setzt.
Daran habe ich grundsätzlich etwas auszusetzen.
Wie bei jeder Form von Kommunikation gibt es auch bei Twitter einen Sender und einen Empfänger. Unter Zuhilfenahme von 280 kurzen Zeichen kann man keinen Sachverhalt ab einem gewissen Grad an Wichtigkeit anständig darstellen, so dass er bei der breiten Masse an Empfängern überall gleichermaßen ankommt und den gleichen Inhalt transportiert. Der Politologe versteht ihn schneller als der Bauarbeiter und anders als der Arbeitslose mit Migrationshintergrund aber ohne ausreichende Sprachkenntnis. In der Kürze liegt nicht immer die Würze. Wenn es um Katzenvideos oder die versalzene Suppe in der Kantine geht, dann schon. Ansonsten nicht. Die meisten Dinge der Welt, und insbesondere politische Dinge, sind so vielschichtig, dass ein Text über 280 Zeichen ihnen niemals gerecht wird. Das schafft noch nicht mal ein Artikelchen in der Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Dazu sind spaltenlange Artikel notwendig, die nur die wenigsten lesen. Das Resultat: die kurzen Sätze sind zumeist populistischer Natur. Und sie heizen Diskussionen in die falsche Richtung an. Sie befriedigen den Wunsch der einfachen Leute. Sie sind schnell zu lesen und schnell weiterzugeben. „Hast Du schon gehört? Der Präsident sagt, der Staat Lampukistan ist schuld.“ Das wird für bare Münze genommen und beeinflusst die öffentliche Meinung auf eine katastrophal falsche Art und Weise. Ganz abgesehen davon, ob der Staat Lampukistan wirklich Schuld hat oder nicht, niemand kann es nachprüfen. Niemand will es nachprüfen, denn das würde bedeuten man müsse sich zusätzlicher Quellen bedienen. Das ist nicht einfach. Und einfach ist gut, für einen immer größer werdenden Teil der Gesellschaft. Nichts ist so schön einfach wie die kurzen Sätze auf Twitter. Deswegen ist es auch vollkommen egal ob Lampukistan nun Schuld hat oder nicht: in der Meinung einer viel zu breiten Öffentlichkeit steht fest, wer schuldig ist. Wenn sich später herausstellt, dass Lampukistan unschuldig sein sollte, findet das in der Twitter-Öffentlichkeit nicht mehr statt.
Für Katzenvideos und versalzene Suppen mag Twitter toll sein. Für Menschen wie Dich und mich. Ab einem gewissen Grad an Relevanz, und die ist bei Regierungen und Präsidenten de facto erfüllt, verbietet es sich, einen Dienst wie Twitter zu nutzen. Man gibt Pressekonferenzen, man spricht im Fernsehen, man veröffentlicht Artikel in der Presse. Man posaunt nicht 280 Zeichen Blödsinn in die Welt, über den Dienst eines privatwirtschaftlichen US-Unternehmens, dessen erklärtes Ziel in der Generierung von Reichweite liegt.
Sowas sollte untersagt werden. Denn es gehört zu den Dingen, die die Welt zu einer schlechteren, dümmeren und gefährlicheren machen. Schade, dass ich der einzige bin, der das so sieht.